Rede: Dr. Silke Lesemann, SPD

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Die Eindrücke der Kosovo-Reise zur Bewertung der Lage der Roma sind noch recht frisch, und es ist gut, dass wir das heute zum Gegenstand der Aktuellen Stunde machen. Es war eine kurze, aber intensive Reise mit einem dicht gedrängten Programm, mit gefüllten Tagen, und es blieb nicht immer genug Zeit für ausführliche Nachfragen und Antworten auf unsere Fragen.

Erste Meldungen aus den Fraktionen kommen zu unterschiedlichen und diametralen Einschätzungen dieser Reise. Für meine Kollegin Sigrid Leuschner und mich als Teilnehmerinnen für die SPD verbieten sich weitere Abschiebungen der Roma.
(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die CDU dagegen zeichnet ein weitgehend positives Bild. War dies nun eine Reise der zwei Wahrheiten, der unterschiedlichen Wahrnehmungen? - Die Gespräche mit staatlichen und nicht staatlichen Organisationen ergaben vor allem zwei einander widersprechende Erkenntnisse.

Erstens die gute Nachricht: Es gibt staatliche Hilfsprogramme für Rückkehrer und zum Teil auch für abgeschobene Roma.

Zweitens die schlechte Nachricht: Die staatlichen Hilfsprogramme greifen in der Praxis nicht. Sie funktionieren nicht zuverlässig, sie sind nicht ausreichend und erreichen nicht immer die Adressaten.

Man muss wissen, dass die kosovarische Regierung alles daransetzt, demnächst eine Visaliberalisierung zu erreichen. Vor diesem Hintergrund gibt es ein vitales Interesse daran, die Bemühungen zur Umsetzung des Rücknahmeabkommens von Roma aus Deutschland positiv herauszustellen. Reintegrations- und Antidiskriminierungsstrategien sind zwar vorhanden, aber in der Praxis greifen sie nicht. Die Minderheitenangehörigen, vor allem der Roma, sind weiterhin einem tief verankerten Rassismus ausgesetzt. Und auch die Hilfeleistungen kommen bei den Betroffenen nur unvollständig und schleppend an.
(Sigrid Leuschner [SPD]: Oder gar nicht!)

Bürokratische Anforderungen sind oft verworren, kompetente Ansprechpartner vor Ort in den Kommunen gibt es selten. Politischer Wunsch und Wirklichkeit bei der Umsetzung von Maßnahmen klaffen eklatant auseinander.

Lebenswichtige Hilfen wie Nahrungsmittel und Brennholz sind im vergangenen harten Winter wir haben ihn hier thematisiert mitunter um Monate verzögert bei den Hilfebedürftigen angekommen. Das haben selbst Gesprächspartner von Regierungsseite eingeräumt.

Hinzu kommt das Zitat Krebsgeschwür Korruption, wie ein hochrangiger Gesprächspartner betonte, welches das Land von den Gemeinden bis in die staatlichen Ebenen hinein betrifft.

Staatlichen Rückkehrerprogrammen fehlt es an Nachhaltigkeit. Nach dem Ablauf von sechs Monaten stehen die Familien vor dem Nichts. Das hat meine Kollegin Zimmermann eben ausgeführt.

Übereinstimmend haben uns Gesprächspartner von KFOR, UNICEF, OSZE und UNHCR um nur die bekanntesten zu nennen auf die zum Teil erbärmlichen Lebensbedingungen von Roma hingewiesen. Die Bedingungen für eine menschenwürdige Integration, die medizinische Versorgung, Bildung und Arbeit seien nicht annähernd gegeben. Traumatisierten kann nicht geholfen werden. Im Armenhaus Europas liegt die Arbeitslosigkeit im Allgemeinen ohnehin schon bei 60 %. Aber was bedeutet das für die Roma?
(Sigrid Leuschner [SPD]: 98 %!)

Sie sind zu über 90 % von Arbeitslosigkeit betroffen. Mir ist noch der eindringliche Appell von Vertretern der Stadtverwaltung von Fushë Kosovë im Ohr, die uns ermahnten Zitat , keine Menschen mehr hierher abzuschieben. Kein Rückgeführter habe eine regelmäßige Arbeit, die Unterkunftssituation sei ebenfalls brisant.

Er lenkte den Blick auf die abgeschobenen Kinder und Jugendlichen. In einer komplett anderen Welt aufgewachsen, fänden sie sich im Kosovo nicht zurecht, zumal sie selten albanisch sprächen eine Einschätzung, die immer wieder geteilt wurde. Die Kinder betrachten sich als Deutsche, haben hier jahrelang gelebt und sprechen unsere Sprache. Das Schicksal der Kinder sollte alle hier im Landtag vertretenen Fraktionen wachrütteln. Lassen Sie hier endlich Menschlichkeit walten!
(Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Kinder sind von den Abschiebungen, aber auch von den sogenannten freiwilligen Rückführungen, die in Wirklichkeit gar keine sind, besonders betroffen. Sie haben alles verloren: Sicherheit, wirkliche Möglichkeiten zur Bildung, Freunde, Umgebung und auch ihre Sprache. Wir hatten Gelegenheit, mit der Familie Meta und deren Kindern, aber auch mit anderen zu sprechen. Mein Eindruck: Diese Menschen sind auf einen ihnen völlig fremden Planeten verfrachtet worden. Diesen Kindern fehlt neben der Kenntnis der Sprache auch ein Schutzmechanismus, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Die hier herrschenden sozialen Codes sind ihnen fremd. Sie sind in einer offenen Gesellschaft aufgewachsen und im Kosovo zutiefst verunsichert. Abschiebung ist für sie ein Schockerlebnis. Wir werden noch Gelegenheit zur ausführlichen Auswertung der Reise haben. Aber ich appelliere jetzt an Sie, Frau Jahns, Herr Ahlers, Herr Güntzler und Herr Götz ich habe auch in Ihren Gesichtern tiefe Nachdenklichkeit gesehen : Stoppen Sie endlich die Abschiebungen! Machen Sie damit Schluss!