Die FDP hat heute (Mittwoch) einen Antrag mit dem Titel "Erinnerung und Gedenken wahren – Stasi-Unterlagen als nationales Kulturgut sichern und zugänglich machen" in den Landtag eingebracht. Dr. Silke Lesemann, hochschulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion und Vorsitzende der Enquetekommission „Verrat an der Freiheit - Machenschaften der Stasi in Niedersachsen aufarbeiten“, hielt dazu folgende Rede:

- Es gilt das gesprochene Wort. -

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren!

Die Aufarbeitung von Stasi-Aktivitäten in Niedersachsen beschäftigt diesen Landtag seit circa eineinhalb Jahren. Im Rahmen der Arbeit der hierzu eingesetzten Enquetekommission haben wir uns auch mit dem vorhandenen Archivgut beschäftigt. Das Gros der überlieferten Dokumente wird in der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Stasiunterlagen der DDR (kurz BSTU) aufbewahrt. Dort befinden sich über 111 Kilometer Akten und weitere Dokumente. Hinter jeder Akte verbirgt sich ein menschliches Schicksal. Hier ist die massenhafte Verletzung von Menschenrechten dokumentiert. Außerdem befinden sich dort ca. 16.000 Säcke mit zerrissenem, bisher weitgehend ungesichtetem Schriftgut. In jedem Sack liegen ca. 2.500 bis 3.500 zerstörte Blätter. Ich liege sicherlich verkehrt, wenn ich sage, dass gerade diese Säcke mit zerrissenen Stasi-Unterlagen einen sehr nachhaltigen Eindruck auf die Kommissionsmitglieder machten. Um Spuren zu unrechtmäßigen Handelns und Personenidentitäten zu vernichten, haben Mitarbeiter der Stasi während der Tage der friedlichen Revolution 1989/90 in großem Stil Akten zerrissen und vernichtet.

Die Fraunhofer-Gesellschaft hat zwischenzeitlich einen Hochleistungsscanner entwickelt, mit dessen Hilfe wie in einem riesigen Puzzle die Schnipsel wieder zu Dokumenten zusammengefügt werden. Nur so ist die weitere Aufarbeitung von Einzelschicksalen, aber auch die Dokumentation von Stasipraktiken beispielsweise bei der Grenzsicherung und Ausspähung der Friedensbewegung möglich. Mit dem vorliegenden Antrag soll der Landtag die Landesregierung auffordern, sich bei der Bundesregierung für die Einrichtung eines zentralen Stasi-Unterlagen-Archivs einzusetzen sowie die Herstellung lesbarer Dokumente, wie vorhin geschildert, zu fördern.

Meine Damen, meine Herren,

seit 1991 werden die Stasiakten in der BSTU aufbewahrt. Geregelt wird der archivarische Umgang mit den Akten im Stasi-Unterlagengesetz. Damit ist letztlich schon eine Art archivische Verwahrung und der Umgang mit den Stasi-Unterlagen geregelt. Die Akten sind für Betroffene und wissenschaftliche Forschung zugänglich. Nachdem das BSTU nunmehr seit mehr als einem Vierteljahrhundert besteht, hatte der Bundestag 2014 eine Expertenkommission eingesetzt, um Reformbedarfe der BSTU zu klären. Die sogenannte Böhmer-Kommission hat im April dieses Jahres empfohlen, die Stasi-Unterlagen unter dem Dach des Bundesarchivs weiterzuführen. Das Bundesarchiv ist schon seit langem die zuständige Fachbehörde für das Archivgut des Bundes und seiner Vorgängerinstitutionen. Unter anderem lautet eine weitere Empfehlung, dass die Akten grundsätzlich in der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg bzw. in den Ländern des Aktenbestandes verbleiben sollen. Überdies hat der Bundestag BSTU und Bundesarchiv mit der Erarbeitung eines Konzeptes für die dauerhafte Sicherung der Stasiakten durch eine Überführung des Stasi-Unterlagenarchivs in das Bundesarchiv unter Beachtung beauftragt.

Meine Damen, meine Herren,

offensichtlich geschieht schon eine ganze Menge von dem, was der Antrag intendiert. Die Gefahr, dass den Stasi-Unterlagen nicht die notwendige Aufmerksamkeit zukäme, ist angesichts der Bemühungen der Böhmer-Kommission und der bisherigen Arbeit der BSTU unter der Leitung von Roland Jahn, nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Und das Bundesarchiv als fachlich kompetente Einrichtung scheint doch zur dauerhaften Sicherung des Archivgutes als überaus geeignet. Im FDP-Antrag scheint aber intendiert zu sein, eine weitere Einrichtung und Systematik zu schaffen, um bundesweit verstreut lagernde Akten zugänglich zu machen. Hierzu besteht noch Erörterungsbedarf.

Ich habe den Eindruck, dass der Antrag nicht von zwingender Notwendigkeit ist, zumal vieles von dem, was hier gefordert wird, bereits auf dem Weg ist. Gleichwohl halte ich das grundsätzliche Anliegen des Antrags für unterstützenswert. Wir werden im Wissenschaftsausschuss dazu beraten, und letztlich könnte der Beschluss hierzu auch in die von der Enquetekommission „Stasi-Machenschaften aufklären“ zu verfassenden Empfehlungen aufgenommen werden.