Die AWO Frauenberatungsstelle in Sehnde hat in diesem Jahr vier Mal so viele Frauen beraten, die häusliche Gewalt erlebt haben, als im vergangenen Jahr. berichtete AWO Frauenberaterin Kathrin Olthoff im Gespräch mit Dr. Silke Lesemann.

„Wir haben seit Jahresanfang 42 Fälle gehabt, in 2022 waren es zehn." Lesemann hat die Beratungsstelle anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am kommenden Samstag besucht. „Außerdem möchte ich mich als Landtagsabgeordnete regelmäßig über die aktuelle Situation informieren“, betonte sie.

Insgesamt stiegt die Zahl der Beratungen von 164 in 2022 auf bisher 197 in diesem Jahr. „Wir sehen diese Entwicklung bei all unseren Einrichtungen in der Region Hannover - wir registrieren mehr und brutalere Fälle häuslicher Gewalt und mehr Frauen, die aufgrund von anderen persönlichen Krisen zu uns kommen “, sagte Katharina Krüger, Sachgebietsleiterin Frauen bei der AWO Region Hannover. Themen seien unter anderem Trennung und Scheidung, psychische Belastungen und Erkrankungen, familiäre Konflikte und Einsamkeit.

Krüger betonte, wie wichtig eine flächendeckende Beratung für Frauen in der Region Hannover ist: „Der Ausbau der Beratungsstellen in den vergangenen Jahren war richtig.“ Dennoch stießen die Einrichtungen bereits an ihre personellen Grenzen. „Und der Bedarf nimmt immer noch zu - gerade in Krisenzeiten wie jetzt.“ Erst habe Corona die Gesellschaft schwer belastet, jetzt seien es die Kriege in der Ukraine und in Gaza sowie die wirtschaftliche Situation mit der hohen Inflation. „Viele Frauen sind sehr erschöpft“, betonte Krüger. Sie spricht auch von Polykrisen - wenn beispielsweise zu den Konflikten mit dem Partner noch eine psychische Erkrankung hinzukommt. „Manche Frauen müssen sehr lange auf einen Therapieplatz warten.“

Die finanzielle Abhängigkeit sei ein Grund, warum Frauen bei ihren Partnern bleiben, obwohl die Beziehung toxisch ist. „Manche Frauen haben nicht einmal ein eigenes Konto“, berichtete Javelle Neumann, Leiterin der AWO Frauenberatungsstellen Ostkreis, zu der auch die Sehnder Einrichtung gehört. Ein weiterer Grund sei der weiterhin bestehende Wohnungsmangel - die Frauen fänden keine bezahlbare Wohnung. „Da die Frauen oft mit ihren Kindern ausziehen müssen, bringt ihnen eine leerstehende Wohnung in einem kleinen Ort nichts, wenn sie nicht mobil sind und es keine Kinderbetreuung in der Nähe gibt“, betonte Krüger. Sehndes Gleichstellungsbeauftragte Jennifer Glandorf erläuterte, dass die Kommune nach Wohnungen zur Anmietung suche und es dabei Fortschritte gebe.

Lesemann verwies auf die politische Liste der Landtagsfraktionen von SPD und Grünen. Demnach sollen im Haushalt 2024 1,35 Millionen Euro für Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen aufgewendet werden: unter anderem für Frauenberatungen, Schutzwohnungen und der Förderung von Frauenhäusern. „Außerdem plant das niedersächsische Sozialministerium eine Vernetzung zwischen Suchtberatungseinrichtungen, Frauenhäusern und Gewaltberatungsstellen“, erläuterte Lesemann.

Glandorf und Olthoff werden am Freitag bei einer Fahrrad-Codierungsaktion der Polizei Sattelschoner verteilen, um auf Gewalt gegen Frauen hinzuweisen. „Öffentlichkeitsarbeit ist weiterhin sehr wichtig: Wir müssen die Probleme sichtbar machen und sie aus der Tabuecke holen.“