Kleine Anfrage mit Antwort z. Th. Immer weniger BAföG-Empfänger in Niedersachsen und wachsende soziale Kluft an den Hochschulen - Was tut die Landesregierung dagegen?
Kleine Anfrage zur mündlichen Beantwortung
der Abg. Dr. Gabriele Andretta, Daniela Krause-Behrens, Dr. Silke Lesemann, Matthias Möhle, Jutta Rübke, Stefan Schostok und Wolfgang Wulf (SPD)
Immer weniger BAföG-Empfänger in Niedersachsen und wachsende soziale Kluft an den Hochschulen - Was tut die Landesregierung dagegen?
Mitte August veröffentlichte das Statistische Bundesamt die aktuellen Gefördertenzahlen beim BAföG für das Jahr 2007. Danach erhielten in Niedersachsen insgesamt 71 256 junge Menschen Leistungen nach dem BAföG, davon 44 738 Studierende und 26 518 Schülerinnen und Schüler. Dies waren 2 037 Geförderte weniger als 2006. Die Zahl der Geförderten ist damit in Niedersachsen zum dritten Mal in Folge rückläufig (2005: 74 878, 2006: 73 293, 2007: 71 256).
In aktuellen Studien wie der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) und dem 10. Studierendensurvey des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wurde erneut deutlich, dass sich die „Schere“ der sozialen Herkunft beim Hochschulzugang vergrößert hat. Studieren aktuell von 100 Akademikerkindern 83, sind es von 100 Kindern, deren Eltern nicht studiert haben, nur 23. Im Jahr 2003 waren es immerhin noch 26. Die Studien zeigen weiter, dass die Aufnahme eines Studiums kaum von der schulischen Leistung abhängt, sondern von der sozialen Herkunft. Das heißt, nicht Begabung und Talent entscheiden über die Chance, eine Hochschule zu besuchen, sondern sozialer Status, Geld und Bildung der Eltern. Gleichzeitig weist der von Bund und Ländern gemeinsam herausgegebene Bericht „Bildung in Deutschland 2008“ aus, dass nach wie vor zu viele junge Menschen auf ein Studium verzichten. Die Studienanfängerquote am Altersjahrgang lag 2007 mit knapp 37 % deutlich unter der politischen Zielmarke von 40 %. Niedersachsen erreicht sogar nur eine Studienanfängerquote von 29 % und rangiert im Ländervergleich in der Schlussgruppe. Bildungsforscher weisen darauf hin, dass die von Bund und Ländern angestrebte Erhöhung der Studienanfängerquote nur erreicht werden kann, wenn es gelingt, die soziale Kluft zu verringern und mehr Nichtakademikerkindern ein Studium zu ermöglichen.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Sieht sie einen Zusammenhang zwischen zurückgehenden Förderzahlen beim BAföG, wachsender sozialer Kluft an den Hochschulen und Problemen der Studienfinanzierung (u. a. durch Einführung von Studiengebühren)? Wenn ja, welchen?
2. Welche konkreten Initiativen wird die Landesregierung ergreifen, um a) für mehr Chancengleichheit beim Hochschulzugang zu sorgen und b) die Studierquote zu erhöhen?
3. Warum sieht sich der Wissenschaftsminister nicht in der Lage, das Versprechen des Ministerpräsidenten, Stipendien einzuführen, endlich einzulösen, sondern delegiert seine Aufgaben immer wieder an Kommissionen?
Antwort der Landesregierung:
Die in der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks veröffentlichten Daten belegen eine starke Abhängigkeit der Zugangsperspektiven junger Menschen zum Hochschulstudium von der sozialen Herkunft. Dies wird auch von den Berichten „Bildung in Deutschland“ und „Education at a glance“ belegt. Tiefer gehende Untersuchungen zeigen, dass die Weichenstellungen für die Bildungsbiographie und spätere Aufnahme eines Hochschulstudiums im Elternhaus und in der frühkindlichen Bildung und Entwicklung gelegt werden. Deshalb müssen alle Maßnahmen zur Verbesserung der Chancen junger Menschen zur Aufnahme eines Hochschulstudiums unabhängig vom Herkommen und Einkommen der Eltern viel früher ansetzen. Deshalb hat die Landesregierung Anfang 2007 das Niedersächsische Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung an der Universität Osnabrück mit einer landesweiten Vernetzung über die Träger der Eltern- und Erwachsenenbildung und parallel dazu einen entsprechenden Forschungsverbund gestartet. Erfolge dieser Arbeit benötigen Zeit und können sich naturgemäß nicht nach eineinhalb Jahren einstellen oder auswirken. Die Zahl der nach dem BAföG Geförderten ist in den letzten Jahren gesunken, für 2008 liegen noch keine Zahlen vor. Nachdem die 22. Novelle zum BAföG zu deutlichen Erhöhungen der Freibeträge und Bedarfssätze geführt hat, was von der zweiten Jahreshälfte an wirksam werden wird, wird mit einem signifikanten Anstieg der Zahl der Geförderten um etwa 15 bis 20 % gerechnet. Dementsprechend dürften die zusätzlich erforderlichen Haushaltsmittel bundesweit bei ca. 450 Millionen Euro liegen. Für Niedersachsen ist im Haushaltsentwurf der Landesregierung eine Steigerung des Haushaltsansatzes für das BAföG für das Jahr 2009 von knapp 21 Millionen Euro gegenüber dem Ansatz von 2008 veranschlagt worden.
Dies vorausgeschickt, werden die Fragen namens der Landesregierung wie folgt beantwortet:
Zu 1: Ein Zusammenhang zwischen bislang zurückgegangenen Förderzahlen beim BAföG und einer wachsenden sozialen Kluft an den Hochschulen wird nicht gesehen. Wie bereits dargelegt, wird mit einem signifikanten Anstieg der Gefördertenzahl gerechnet. Die zurückgehenden Förderzahlen beim BAföG sind vornehmlich auf die Nichtanpassung der Förderbeträge und Fördersätze zurückzuführen. Zum Wintersemester 2008/2009 steigen die Bedarfssätze nach dem BAföG um 10 % und die Freibeträge um 8 %. Zuvor waren die Sätze sieben Jahre unverändert geblieben. Das Land Niedersachsen hatte im letzten Jahr diese dringend notwendigen Erhöhungen erfolgreich gefordert und im Bundesrat dem Änderungsgesetz zugestimmt. Die BAföGMittel werden zu 35 % von den Ländern getragen. Darüber hinaus besteht aus Sicht der Landesregierung weiterer Reformbedarf, um das BAföG den geänderten Verhältnissen anzupassen und weiterzuentwickeln. Insbesondere sollte eine Angleichung der Förderungsregelungen für ein Studium im Inland mit denen für ein Studium im Ausland erreicht werden. Dadurch würden Studienbeiträge beim anrechenbaren Einkommen bedarfserhöhend wirken, wie es bereits heute für im Ausland zu zahlende Studiengebühren gilt. Die in den Bundesländern bestehenden Studienbeitragsdarlehen und das BAföG sollten zusammengeführt werden. Die Einführung der Studienbeiträge in Niedersachsen hat bisher keine Auswirkung auf die Studienanfängerzahlen. Vielmehr sind die Studienanfängerzahlen im Wintersemester 2007/08 um rund 9 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Zur grundsätzlichen sozialen Abfederung der Einführung von Studienbeiträgen hat das Land das Förderprogramm Studienbeitragsdarlehen aufgelegt und damit sichergestellt, dass fast alle Studienbeitragspflichtigen zur Finanzierung der Studienbeiträge ein zinsgünstiges Darlehen beantragen können. Diese Darlehen werden frühestens zwei Jahre nach Ende des Studiums und nur bei hinreichendem Einkommen der Darlehensnehmerin / des Darlehensnehmers zurückgefordert (hier gilt die für die Rückzahlung von BAföG-Darlehen nach § 18 a Abs. 1 BAföG geltende Einkommensgrenze zuzüglich 100 Euro). Die Rückzahlung des Studienbeitragdarlehens entfällt, soweit das Studienbeitragsdarlehen einschließlich Zinsen zusammen mit Verpflichtungen aus in Anspruch genommenen Darlehen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BAföG 15 000 Euro (sogenannte BAföG-Kappung) überschreitet.
Zur Steigerung der Attraktivität des Hochschulstudiums haben die niedersächsischen Hochschulen (zum Teil in Kooperation mit MWK und MK) in den letzten Jahren zahlreiche Projekte und Maßnahmen initiiert und etabliert. An den Hochschulen findet häufig ein sogenanntes Schnupperstudium statt, in dem die Schülerinnen und Schüler höherer Jahrgänge Hochschulveranstaltungen besuchen und somit bereits während ihrer Schulzeit Kontakt zur Hochschule herstellen können. Sogenannte Kontaktmessen Wissenschaft/Wirtschaft, wie z. B. die KISS-ME an der Leibniz-Universität Hannover oder die Karrieremesse Sprungbrett an der TU Clausthal, sind vor bildlich geeignet, das Interesse junger Leute an der Aufnahme eines Studiums zu wecken, wenn ihnen klar wird, welche hervorragenden Perspektiven sich ihnen damit auf dem Arbeitsmarkt bieten. Um speziell für die naturwissenschaftlich-technischen Fächer in besonderer Weise zu begeistern, gibt es bereits eine ganze Reihe von Initiativen, in Niedersachsen z. B. die IdeenExpo oder das XLAB, überregional das Portal Perspektive Luftfahrt, dessen Aufbau von Niedersachsen zu 50 % finanziert wurde, oder aktuell das Jahr der Mathematik.
Zu 2: Der demografisch bedingte Anstieg der Studienberechtigtenzahlen und der doppelte Abiturjahrgang sollen als Chance für die junge Generation und für die Hochschulen strategisch intelligent genutzt werden. Bund und Länder haben sich deshalb auf die Umsetzung eines Hochschulpaktes 2020 verständigt, mit dem bis 2010 zunächst 91 400 zusätzlichen Studierenden durch Bereitstellung entsprechender Finanzmittel ein Studium an einer deutschen Hochschule ermöglicht werden soll. Auf Niedersachsen entfallen davon 11 200 zusätzliche Plätze im ersten Hochschulsemester. Damit werden auch die Zukunftschancen der jungen Generation gesichert.
Zu 2a: In der 16. Wahlperiode sollen einzelne Vorschriften des NHG geändert werden. Dabei wird auch das Thema Hochschulzugang eine Rolle spielen. Die bereits sehr weitreichenden Zugangsmöglichkeiten in Niedersachsen werden derzeit im Rahmen der Qualifizierungsinitiative des Bundes und der Länder weiterentwickelt und harmonisiert. Es ist u. a. geplant, im Hochschulgesetz eine Regelung zu schaffen, nach der besondere, in der beruflichen Bildung, im Beruf oder der Weiterbildung erworbene Kompetenzen nach Feststellung durch die Hochschule zu einer Hochschulzugangsberechtigung führen. In der Anrechnung von beruflichen Kompetenzen wird ein wichtiger Baustein gesehen, mit dem die Durchlässigkeit zwischen den Bildungssystemen verbessert und die Möglichkeit für Berufsqualifizierte erleichtert werden, einen Hochschulabschluss zu erlangen.
Zu 2 b: Entscheidend für die Erhöhung der Studierquote sind u. a. a) eine gute schulische Vorbereitung und Information von Studierwilligen sowie entsprechende Beratungsangebote (auch) an den Hochschulen (als Einstiegsportal zur Übersicht über die Studienangebote und relevante Informationen rund ums Studium in Niedersachsen dient www.studieren-in-niedersachsen.de). Bei der Nachfrage nach Studiengängen ist wiederum in Rechnung zu stellen, dass diese eng mit Angeboten und der Leistungskurswahl in den Gymnasien korrespondiert;
b) ein attraktives und quantitativ ausreichendes Angebot an berufsqualifizierenden Bachelorsowie weiterführenden Masterstudiengängen für Studieninteressierte. Niedersachsen hat seine Studiengänge durch die konsequente Unterstützung des Bologna-Prozesses durch Verbesserung der Betreuungsrelationen praktisch flächendeckend (mit Ausnahme einiger bundesweit reglementierter Studiengänge) umgestellt. Mit den Studienbeiträgen ist den Hochschulen ein Instrument zur weiteren qualitativen Verbesserung der Studienbedingungen und der Lehre an die Hand gegeben. Die neue Struktur ermöglicht interessante Kombinationsmöglichkeiten und Berufsbiographien. Mehr als bisher muss es zudem darum gehen, auch die „nicht traditionellen Zielgruppen“ verstärkt an die Hochschulen zu bekommen. Studiengänge, die berufsbegleitend studierbar sind, sei es im grundständigen Bereich, sei es maßgeschneidert als weiterbildendes Angebot, entwickeln sich zunehmend. Darüber hinaus wird die Durchlässigkeit unterschiedlicher Bildungsgänge erhöht, etwa durch die Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf ein Hochschulstudium. Entsprechende Modellprojekte werden bereits vom Land finanziell unterstützt.
Zu 3: Die Koalitionspartner haben vereinbart, talentierte und motivierte junge Menschen frühzeitig zu fördern und deren Bildungschancen zu erhöhen. Auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung soll neben den sozialverträglich ausgestalteten Studienbeiträgen ein erweitertes Stipendien- und Förderangebot aufgebaut werden, um damit insbesondere besonders Begabte zu fördern, herausragendes ehrenamtliches Engagement (einschließlich solchem in der Hochschulselbstverwaltung) zu berücksichtigen. Daneben soll die finanzielle Situation kinderreicher Familien mit besonderen Problemlagen verbessert werden. Für das erweiterte Stipendienangebot sind im Haushaltsplanentwurf der Landesregierung und der mittelfristigen Finanzplanung für 2009 1 Million Euro, für 2010 2 Millionen Euro und in den Jahren 2011 und 2012 je 3 Millionen Euro eingestellt worden. Dabei wird das Ziel verfolgt, dass die vorgenannten Beträge jeweils von den Hochschulen und durch Zuwendungen von dritter Seite um Beträge in gleicher Höhe aufgestockt werden, sodass die Gesamtsumme der zu vergebenden Stipendien das Dreifache der hierfür etatisierten Landesmittel beträgt. Die Entwicklung der erweiterten Stipendien- und Förderangebote ist wegen der Einbeziehung der Hochschulen in diesen Prozess noch nicht abgeschlossen. Die Einbeziehung der Hochschulen ist geboten, weil die Vergabe von Stipendien nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 zu den Aufgaben der Hochschulen gehört. Stipendien an Studierende nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 NHG, die aufgrund besonderer Leistungen und herausgehobener Befähigungen sowie zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit im Hochschulbereich vergeben werden, können nach § 11 Abs. 1 Satz 5 zweiter Halbsatz NHG mit Einnahmen aus Studienbeiträgen finanziert werden. Hieran soll auch bei einer Ausweitung der Stipendientatbestände durch Änderung des NHG festgehalten werden.