9. Rede von Dr. Silke Lesemann im Niedersächsischen Landtag am 13. Mai 2009
Rede von Dr. Silke Lesemann im Landtagsplenum am 13.05.2009
Einzige (abschließende) Beratung: Studierende mit Migrationserfahrung in Lehrämter - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/971 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur - Drs. 16/1198
Dr. Silke Lesemann (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Uns allen ist bekannt: Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Nur wer eine gute Bildung und Ausbildung hat, kann die Chancen, die unser Land bietet, nutzen. Allerdings ist in Deutschland der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg viel zu eng. Alle Schwächen des Bildungssystems treffen Kinder aus Einwandererfamilien besonders stark.
(Beifall bei der SPD)
Ein ganzes Bündel von Maßnahmen - u. a. eine längere gemeinsame Schulzeit, geringere Selektivität, Ganztagsschulen, Sprachförderung und Elternarbeit - müsste deshalb zur Beendigung dieser institutionalisierten Diskriminierung ergriffen werden.
(Beifall bei der SPD)
Die SPD-Fraktion konzentriert sich hier bewusst auf einen Baustein für eine bessere Bildungsintegration. Ziel ist es, den Anteil der Lehramtsstudentinnen und -studenten mit Migrationshintergrund zu steigern. Denn trotz der wachsenden ethnischen Vielfalt in den Klassenzimmern wirken Lehrkräfte mit ausländischen Wurzeln immer noch exotisch. Das muss geändert werden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Wie ist die Situation in Niedersachsen? - Fast jede dritte Schülerin bzw. jeder dritte Schüler hat einen Migrationshintergrund. In manchen Großstadtschulen sind es über 60 %.
Vizepräsidentin Astrid Vockert: Frau Dr. Andretta möchte eine Frage stellen.
Dr. Silke Lesemann (SPD): Ja, bitte.
Vizepräsidentin Astrid Vockert: Bitte schön!
Dr. Gabriele Andretta (SPD): Frau Kollegin Lesemann, würden auch Sie es für sinnvoll erachten, wenn der Integrationsminister bei diesem Thema anwesend wäre?
Vizepräsidentin Astrid Vockert: Frau Dr. Lesemann!
Dr. Silke Lesemann (SPD): Das würde ich für sehr sinnvoll erachten, weil dieses Thema auch in der Integrationskommission beraten worden ist. Das wäre sehr passend.
(Beifall bei der SPD - Wolfgang Jüttner [SPD]: Dass er nicht automatisch hier ist, ist schon schlimm genug! Es ist das dritte Mal innerhalb weniger Wochen, dass er hier so auffällt! - Weitere Zurufe und Gegenrufe - Unruhe)
- Ich mache dann mal weiter. In manchen Großstadtschulen sind es über 60 % der Kinder, in einzelnen Klassen sogar über 90 %. Im Unterricht werden sie allerdings kaum einer Lehrerin oder einem Lehrer begegnen, die bzw. der diese Erfahrung mit ihnen teilt. Deren Anteil liegt nämlich nur bei etwas mehr als 1 %. Viel ist von der Charta der Vielfalt die Rede und davon, dass Unterschiedlichkeit Chancen bietet. Warum nicht auch im Lehrerkollegium? Wir meinen, die Einwanderungsgesellschaft muss sich auch in den Klassenzimmern widerspiegeln.
(Beifall bei der SPD)
Wer von Erwachsenen unterrichtet wird, deren Lebensweg ähnliche Stationen durchlaufen hat, fühlt sich ermutigt. Für Kinder und Jugendliche, aber auch für ihre Eltern sind sie ein wichtiges Signal für ein positives Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Denn sie zeigen: Wir sind angekommen und gestalten auch mit. - Sie haben Fachkompetenz und beweisen, dass Schulerfolg möglich und eine Karriere keine Utopie ist. Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte stehen für eine gelungene Integration und erfolgreiche Bildungskarrieren. Das, meine Damen und Herren, ist schließlich auch ein gutes Beispiel für Schülerinnen und Schüler. Lehrerinnen und Lehrer mit Zuwanderungsgeschichte werden dringend gebraucht: als Vorbilder, Vertraute und Brückenbauer zwischen Schule und Familien.
(Minister Uwe Schünemann betritt den Saal)
- Hallo, Herr Schünemann!
(Minister Uwe Schünemann: Ich grüße Sie! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Schön, dass Sie da sind!)
- Das ist wahr. Meine Damen und Herren, noch entscheiden sich zu wenige Abiturienten für das Lehramt. Andere Bundesländer zeigen, wie man erfolgreich Schülerinnen und Schüler mit ausländischen Wurzeln für ein Lehramtsstudium wirbt. Das von der Zeit- Stiftung entwickelte und in Kooperation mit der Hertie-Stiftung durchgeführte Studienorientierungsangebot „Mehr Migranten werden Lehrer“ haben Hamburg und Nordrhein-Westfalen aufgegriffen. Auch Berlin betreibt eine einschlägige und gute Kampagne, die Kinder aus Zuwandererfamilien über Berufsperspektiven an Schulen informiert. Wir schlagen Studienstipendien für Migranten vor. Beispielsweise gibt es das Programm „Horizonte“ in Zusammenarbeit mit der FU Berlin und der dortigen Senatsverwaltung. Übrigens erwägt auch das Kultusministerium in Baden-Württemberg bereits die Prüfung von Stipendienprogrammen. Warum sollte nicht in Niedersachsen ebenso wie in Hamburg und Berlin ein festgelegter Anteil von Lehramtskandidatenstellen durch Bewerberinnen und Bewerber mit ausländischer Herkunft besetzt werden?
(Beifall bei der SPD)
Beispiele für diese Form der positiven Diskriminierung gibt es in den USA übrigens schon lange. Diese beispielhaft genannten Maßnahmen aus anderen Bundesländern sind nur einige Vorschläge, wie man langfristig die Zahl der Lehrer mit ausländischen Wurzeln steigern könnte. Gegen die Zielrichtung unseres Antrags gab es in der bisherigen Beratung keine Einwände. Im Gegenteil! Die Forderung, Studierende mit Migrationshintergrund in Lehrämter zu bringen, wurde ausdrücklich begrüßt. Die Gründe, die zur Ablehnung dieses Antrages herhalten mussten, waren dann mehr an den Haaren herbeigezogen.
(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: SPD-Antrag!)
Zielgruppenorientierte Informations- und Werbemaßnahmen an den Schulen stellen mit Sicherheit keine unzulässige Beeinträchtigung der Schülerinnen und Schüler dar, wie Herr Nacke in der öffentlichen Ausschussberatung behauptet hat. Natürlich kann in den Schulen für spezifische Berufe oder Fachrichtungen geworben werden. Das geschieht auch schon, z. B. in Hamburg in Kooperation mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung sowie in Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Lehrerbildung. Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass die Mehrheitsfraktionen es zum Prinzip erhoben haben, keinem Antrag der Opposition zuzustimmen.
(Beifall bei der SPD)
Sie hätten natürlich auch eigene Änderungsanträge formulieren können. Dann hatten Sie zumindest Ihren Willen zum entschlossenen Handeln untermauert. Ebenso wenig kam es zu einer Unterrichtung durch die Landesregierung über die Situation von Migrantinnen und Migranten in Bezug auf Lehrämter. Schade! Noch bedauerlicher ist allerdings, dass der Ablehnungsbeschluss noch vor der Erörterung in der Integrationskommission zustande kam. Immerhin hat die Vorsitzende der Kommission, Frau Lorberg, den voreiligen Entschluss der Mehrheitsfraktionen im Ausschuss bedauert. Die Vertreterinnen und Vertreter, die dort übrigens ehrenamtlich in ihrer Freizeit sitzen, blieben düpiert zurück. Sie hatten das öffentliche Protokoll der fraglichen Sitzung gelesen und schüttelten den Kopf über das ablehnende Votum. Meine Damen und Herren, besinnen Sie sich endlich, und stimmen Sie unserem Antrag zu.
(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])