Einzige (abschließende) Beratung: Potenziale nutzen: Die Anerkennung von im Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüssen erleichtern –

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 16/1500 –
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sport und Integration - Drs. 16/2466
- Änderungsantrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
- Drs. 16/2542


Dr. Silke Lesemann (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Ingenieur als Hausmeister, der Taxifahrer mit akademischer Ausbildung oder Putzhilfen mit Diplom - es ist eine paradoxe Situation, in der sich viele Zuwanderer mit akademischer Ausbildung befinden.

Ursache hierfür ist die bisher miserable Anerkennungspraxis im Ausland erworbener Berufs- und Bildungsabschlüsse. Hinter ihr verbergen sich zahlreiche menschliche Schicksale. Mit der Migration findet offensichtlich auch ein Bruch in der Berufsbiografie statt. Das erschwert eine gelingende Integration; denn ein erheblicher Teil der bisherigen Lebensleistung des Zuwanderers wird ausgeblendet.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In Deutschland leben Hunderttausende, deren Berufsabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden. Sie werden deshalb weit unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt und oft auch schlechter bezahlt als ihre einheimischen Kollegen.

Ein weiteres Problem ist die uneinheitliche Anerkennung ausländischer Abschlüsse, egal ob Universitätszertifikat oder Ausbildungszeugnis. Einen Anspruch auf Anerkennung ihrer mitgebrachten Qualifikation haben bisher nur Spätaussiedler und EU-Bürger, und dies auch nur bei einigen wenigen Berufen. Andere Zuwanderer haben keinen Rechtsanspruch auf die Anerkennung ihrer mitgebrachten Bildungsabschlüsse. Genau dies wollen wir mit diesem Antrag ändern.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine bessere Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse von Zuwanderern ist aus dreierlei Sicht ein zentrales politisches Thema: aus integrationspolitischer Sicht, aus wirtschaftlicher und aus arbeitsmarktpolitischer Perspektive. Sie ist aber auch ein wichtiger Schritt hin zur Verwirklichung von Chancengleichheit zwischen Einheimischen und Zuwanderern.

Ich greife hier das Thema des Fachkräftemangels auf, mit dem wir uns schon verschiedentlich beschäftigt haben. Alle Anstrengungen müssen unternommen werden, um Fachkräfte, ob in Deutschland geboren oder mit Migrationshintergrund, in unsere Betriebe und Unternehmen zu bringen. Es geht aber auch darum, Menschen mit Migrationshintergrund eine Wertschätzung ihrer Kompetenzen und damit ihrer Berufs- und Bildungsabschlüsse entgegenzubringen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine bessere berufliche Anerkennung nutzt uns allen. Das vorhandene Potenzial der Zuwanderer kann den Arbeitsprozess bereichern und trägt zum wirtschaftlichen Wohlstand bei. Um den etwa 800 000 Zuwanderern mit nicht anerkannten Hochschulabschlüssen sofort zu helfen und ihr Know-how nicht weiter zu verschwenden, müssen Maßnahmen zur verbesserten Anerkennung von Berufsabschlüssen schnell umgesetzt werden. Viel zu viel Zeit ist bereits vergangen und vertan worden. Wir brauchen jetzt Taten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Eine versagte, verschleppte oder zu langsame Anerkennung führt dazu, dass gut ausgebildete Arbeitskräfte unqualifizierte Tätigkeiten verrichten. Ständige Unterforderung und Dequalifizierung demotivieren. Angesichts des Fachkräftemangels ist dies eine Ressourcenverschwendung. Gerade Deutschland ist auch aufgrund des demografischen Wandels in Zukunft verstärkt auf qualifizierte Migrantinnen und Migranten angewiesen.

Ich möchte aus dem vorliegenden Antrag vor allem drei wesentliche Punkte nennen.

Erstens muss damit Schluss sein, zwischen Spätaussiedlern, EU-Bürgern und Drittstaatenangehörigen zu unterscheiden und sie in der Anerkennungspraxis unterschiedlich zu behandeln. Bisher genießen nämlich nur Spätaussiedler das Recht auf ein Anerkennungsverfahren in allen Berufsbereichen. Andere Migrantengruppen, wie z. B. jüdische Zuwanderer und Angehörige von Drittstaaten, haben weit schlechtere Voraussetzungen. Die Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Bildungsabschlüsse ist in Deutschland nämlich nicht vorgesehen. Das ist ein Skandal. Je höher die Qualifikation, desto tiefer der mögliche Fall.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Man führe sich einmal vor Augen, was das bedeutet. Hierzulande ist die Anerkennung weniger vom Wert der Qualifikation als vielmehr vom Status des Inhabers abhängig. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Beruf, um dessen Anerkennung es geht.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zweitens. Der Verfahrensdschungel muss gelichtet werden. Er führt dazu, dass Leistungen von Migranten nicht anerkannt werden. Das Bürokratielabyrinth unterschiedlicher Zuständigkeiten bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse muss dringend aufgelöst werden. Der Weg zur Anerkennung einer ausländischen Qualifikation ist unübersichtlich.

Um das einmal zu verdeutlichen: Für einige Berufe ist der Bund zuständig, beispielsweise bei Ärzten, Apothekern oder Juristen, für andere die Länder, beispielsweise bei Architekten, Lehrern und den Sozialberufen. Jedes Bundesland hat zudem eine eigene Behörde. Für unterschiedliche Berufe gibt es verschiedene Anlaufstellen. Von Bundesland zu Bundesland ist die Anerkennungspraxis unterschiedlich. Das muss aufhören.

Drittens ist es ganz wichtig, im Sinne von Anpassungs- und Nachqualifizierungsmaßnahmen Angebote zur Sprachförderung auszubauen. Berufsbezogene Sprachförderung muss als Element der aktiven Arbeitsmarktpolitik als Regelinstrument ausgebaut werden.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der gemeinsam zu verabschiedende Antrag von SPD, CDU, Grünen und FDP erhält noch eine Reihe mehr Forderungen, die ich hier aufgrund der Kürze der Zeit nicht weiter ausführen möchte.

Ich möchte aber betonen, es ist ganz selten, dass ein aus der Opposition heraus gestellter Antrag zu einem guten Ende gemeinsam mit den Regierungsfraktionen weiterentwickelt wird. Dies ist hier geschehen, nicht zuletzt deshalb, weil auch die Mitglieder der Integrationskommission ein ureigenes Interesse daran hatten.

Ich möchte meinen Dank an die Kollegen Filiz Polat, Christoph Oetjen und André Wiese anschließen. Wir haben konstruktiv und gut zusammengearbeitet; das war schön. Ich würde mich freuen, wenn das an anderer Stelle fortgesetzt werden könnte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und bei den GRÜNEN)