Besprechung:
Aufstieg durch Bildung?
Umsetzung der Vereinbarungen des Dresdner Bildungsgipfels in Niedersachsen
- Große Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 16/1636

Dr. Silke Lesemann (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet - am Ende blieb auch der Bildungsgipfel 2009 eine herbe Enttäuschung. Statt Wegweisendes zu beschließen, wurde der staunenden Öffentlichkeit vorgeführt, zu welchen Tricks Statistik und Ministerpräsidenten beim Kleinrechnen von Bildungsinvestitionen fähig sind.

Bezifferte sich der jährliche Bedarf an zusätzlichen Bildungsausgaben 2008 noch auf bis zu 60 Milliarden Euro, so halbierte er sich 2009 auf wundersame Weise auf 28 Milliarden Euro. Mittlerweile haben Rechenzauberer die Bildungsinvestitionen auf ca. 13 Milliarden Euro reduziert. Diese Rechnerei entlarvt sich als ein scheinheiliges Unterfangen. Wenn dies so weitergeht, wird beim nächsten Bildungsgipfel im Juni noch herauskommen, dass Deutschland viel zu viel für Bildung ausgibt!

Wenden wir den Blick nach Niedersachsen: Mutlos und unkonkret lesen sich viele der Antworten auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Umsetzung des Bildungsgipfels in Niedersachsen. Bevor ich auf Details eingehe, gilt mein Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Ministerien für die Mühe bei der Beantwortung der Großen Anfrage.

Es ist eigentlich guter Brauch, im Zusammenspiel zwischen Regierung und Volksvertretung, die fragende Fraktion bzw. alle im Parlament vertretenen Fraktionen zuerst zu informieren. Nachdem sich die Beantwortung der Großen Anfrage ein halbes Jahr lang dahingeschleppt hatte, gingen die Antworten zuerst an die Presse und mit Verzögerung an meine Fraktion.

Meine Damen und Herren, gegen diese Missachtung des Parlaments protestieren wir.
Hohe Erwartungen waren in den Bildungsgipfel im Dezember 2009 gesetzt worden. Verbindliche Finanzierungsschritte und konkrete Bildungsprojekte sollten nach dem enttäuschenden Gipfel 2008 vereinbart werden. Das wichtigste Ziel lautete, Ideen zu entwickeln, wie die Ausgaben für Bildung und Forschung bis 2015 auf 10 % des Bruttoinlandsproduktes gesteigert werden können. Dieses Ziel ist verfehlt und auf den Juni 2010 vertagt worden. Dies heißt gleichzeitig: wieder ein halbes Jahr verlorene Zeit für die Bildung in unserem Land.

Um ein fragwürdiges Steuerpaket im Bundesrat durchzusetzen, billigte die Bundeskanzlerin dubiose Rechentricks bei der Erreichung des 10-%-Ziels. Dieser Kuhhandel mit den Ländern resultierte dann in Steuergeschenken für Hoteliers. Fehlanzeige jedoch bei verbindlichen Vereinbarungen für die Bildung. Das war das magere Ergebnis, meine Damen und Herren.

Mit Rechentricks versuchten Bund und Länder unter den Augen ihrer hilflos zuschauenden Bildungsminister, sich ihrer Selbstverpflichtung zu entledigen. In der Bildungsausgabestatistik taucht jetzt erstmals auch ein Pensionszuschlag auf alle Lehrer- und Professorengehälter in Höhe von 42 % auf. Das macht in der Gesamtsumme 4,8 Milliarden Euro.

Hinzu kommen mindestens 10 Milliarden Euro kalkulatorische Unterbringungskosten für Schul- und Hochschulgrundstücke. Das hat eine Strategiegruppe mit Vertretern aus Kanzleramt, Bundesministerien und Staatskanzleien vereinbart. Übrigens wurde auf unsere Anfrage hin mitgeteilt, dass Niedersachsen dort personell nicht vertreten sei. Schade eigentlich!

Schauen wir nach Niedersachsen - vielleicht vertreibt die niedersächsische Antwort auf unsere Anfrage ja den Nebel um den Bildungsgipfel. Doch weit gefehlt hat jeder, der solches erwartet hat. Nebulös und unkonkret ist auch die Antwort darauf, wie sich Niedersachsen an der Anhebung der Aufwendungen für Bildung und Forschung auf 10 % des Bruttoinlandsprodukts beteiligen wird. Vielleicht kann die neue Ministerin, Professor Wanka, gleich etwas konkreter werden.

Die schwammige Antwort auf die Große Anfrage lautet:

„Das Land Niedersachsen wird einen unter Berücksichtigung der haushaltswirtschaftlichen Rahmenbedingungen quantitativ angemessenen und fachlich abgestimmten Beitrag zur Erreichung des 10-%-Ziels leisten.“

Bildungs- und Wissenschaftspolitik in Niedersachsen finden unter Vorbehalt statt. Vor allem sollte Wissenschaftsministerin Wanka wissen: Finanzminister Möllring ist hier der Chef im Ring.
Ebenso allgemein gehalten ist auch die Antwort auf die Frage nach den Bereichen, in denen eventuell zusätzliche Mittel eingesetzt werden sollen. So heißt es:
„Die Länder sehen vorrangigen Bedarf in den Bereichen frühkindliche Bildung, Schule, Berufsausbildung, Hochschule und Weiterbildung.“

Zu den vagen Antworten gehört auch die zu den Studienabbrechern und zu Maßnahmen zur Verhinderung des Studienabbruchs: Maßnahmen und Kostenschätzungen - Fehlanzeige! Lediglich der Verweis auf einzelne Titelgruppen im Landeshaushalt und der Verweis auf eine weitere Große Anfrage meiner Fraktion sind die lapidaren Antworten.

Die Anstrengungen, das Studium positiv zu begleiten und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, müssen deutlich erhöht werden. Dazu gehört auch eine vernünftige Studienabbrecherstatistik für Niedersachsen. Und wir benötigen dringend einen Pakt für gute Lehre, wie ihn meine Fraktion schon länger fordert.

Er soll den Hochschulpakt zum Ausbau der Studienplätze sowie die Exzellenzinitiative als dritter gemeinsamer Bund-Länder-Pakt ergänzen und müsste 3 Milliarden Euro umfassen. Dies entspricht den Mehrkosten für eine angemessene Betreuung der Studierenden nach der Bologna-Reform, wie sie auch vom Wissenschaftsrat beziffert werden.

Meine Damen und Herren, das Kooperationsverbot von Bund und Ländern erweist sich für die Bildungspolitik zusehends als Hemmschuh. Ebenso wird sich die sogenannte Schuldenbremse nachteilig für notwendige Bildungsinvestitionen und zum Nachteil künftiger Generationen erweisen.
Gerade in der Bildung darf die Zusammenarbeit nicht auf Katastrophen- und Krisenzeiten beschränkt werden.

Wir müssen vielmehr über eine nachhaltige Mischfinanzierung von Bund und Ländern sprechen. Das von der Union 2008 durchgesetzte Kooperationsverbot für Bund und Länder für weite Bildungsbereiche in Artikel 104 b des Grundgesetzes war ein dramatischer Fehler in diesem Zusammenhang.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, nehmen Sie sich ein Beispiel am ehemaligen Außenminister Kinkel und an Frau Bildungsministerin Schavan. Sie teilen mittlerweile unsere Ansicht und stellen das Kooperationsverbot infrage.

Daran, dass sie 2006 maßgeblich an dessen Errichtung beteiligt war, mag sich Frau Schavan jetzt natürlich nicht mehr erinnern. Aber die späte Erleuchtung Schavans sollte auch bei Ihnen zum Umdenken führen. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Setzen Sie sich für eine Rücknahme des Kooperationsverbotes ein! Denn allein von einer zu späten Erkenntnis haben Studierende, Schülerinnen und Schüler nichts.

Die SPD-Landtagsfraktion hält die Zurücknahme des Kooperationsverbots von Bund und Ländern in der Bildungspolitik für dringender denn je. Wir fordern eine Öffnung im Grundgesetz, damit Bund und Länder in allen Bildungsbereichen direkt und konstruktiv zusammenarbeiten können. Bei einer Änderung der Rahmenbedingungen wird man nicht immer gleich eine Verfassungsänderung erreichen. Nur eine grundsätzliche Kooperationsnorm für die Bildung kann dies leisten. Die Grundgesetzänderung muss kommen, und wir werden hierzu eine Initiative ergreifen. Lösen wir endlich die Bildungsbremse! Das Kooperationsverbot muss vom Tisch!