Rede von Dr. Silke Lesemann im Landtagsplenum am 26.08.2009

Erste Beratung: Sofortiger Abschiebungsstopp für Roma aus dem Kosovo! - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1496 Erste Beratung: Abschiebungsstopp - Aufenthaltsrecht für Roma-Flüchtlinge jetzt! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1502

Dr. Silke Lesemann (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Monaten leben viele Romafamilien in Niedersachsen in der Sorge, dass Innenminister Schünemann das Rücknahmeabkommen zwischen Deutschland und der kosovarischen Regierung vom Frühjahr 2009 extensiv auslegt und Abschiebungen von Romaflüchtlingen vorbereitet. Verschiedentlich ist das bereits geschehen, wie der Fall Gashi beweist.

Zehn Jahre nach Ende des Krieges im Kosovo sind die Lebensbedingungen für Roma und die ihnen zugerechneten Ashkali und Ägypter nach wie vor katastrophal. Armut und Diskriminierung bestimmen den dortigen Alltag. Dennoch werden die Abschiebungen vorbereitet und auch durchgeführt - wie hier in Niedersachsen. Dagegen wehren wir uns, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wie ein Bericht, aus dem meine Kolleginnen vorhin schon zitiert haben, von Amnesty International zeigt, sind Roma im Kosovo vom regulären Arbeitsmarkt faktisch ausgeschlossen. Viele von ihnen müssen mit weniger als einem US-Dollar am Tag auskommen. Mangelnde Bildungschancen wiederum halten den Kreislauf der Armut aufrecht. Hinzu kommt der Ausschluss der Roma vom sozialen Sicherungssystem und von ärztlicher Behandlung. In den Romalagern herrschen menschenunwürdige Zustände. Die beiden bekannten Lager in Mitrovica liegen auf den Abraumhalden einer Bleimine. Die Kinder dort haben alarmierende Blutwerte. Die Nato hat ihre Soldaten deshalb von dort abgezogen, Herr Schünemann.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Mit Roma kann man es ja machen!)

Der vom unabhängigen Kosovo zugesicherte Minderheitenschutz gilt bisher nur auf dem Papier. Mit der Umsetzung der Aktionspläne zur Integration von Roma sowie zur Wiedereingliederung von Rückkehrern ist noch nicht begonnen worden. Meine Damen und Herren, ein neuer Bericht des Menschenrechtskommissars Hammarberg hebt die anhaltende Diskriminierung der Roma, Ashkali und Ägypter hervor. Die allgemeine Sicherheitslage für diese drei Gemeinschaften im Kosovo, die wirtschaftliche und soziale Lage seien die wesentlichen Hindernisse für eine dauerhafte Rückkehr der Flüchtlinge. Der Kommissar fordert die europäischen Staaten daher ausdrücklich auf, von Abschiebungen abzusehen und den Flüchtlingen ein Bleiberecht zu garantieren, bis sich die Lage im Kosovo verbessert hat. Er weiß nur zu gut, warum er das so eindringlich fordert, Herr Schünemann.

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN - Minister Uwe Schünemann unterhält sich an der Regierungsbank)

- Aber das interessiert ihn nicht. - Herr Schünemann, würden Sie mir bitte zuhören?

(Zurufe von der SPD: Macht er nicht!)

- Gut, dann hören Sie mir zu. Die Situation im Kosovo ist gefährlich und politisch extrem unsicher, vor allem für Angehörige von Minderheiten. Herr Minister, hören Sie endlich damit auf, Menschen in Länder abzuschieben, in die eine Rückkehr in Sicherheit und Würde unmöglich ist!

(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Hören Sie auf, diese Menschen in den Kosovo zurückzuschicken! Gewähren Sie ihnen weiterhin Schutz! Stoppen Sie endlich die Abschiebungen in den Kosovo!

(Beifall bei der SPD und bei der LINKEN)

Wir müssten uns über dieses Thema nicht unterhalten, wenn wir zu einer weniger restriktiven Anwendung der Bleiberechtsregelung kämen. Die SPD-Fraktion im Landtag hat sich immer wieder für eine Bleiberechtsregelung eingesetzt, die diesen Namen auch verdient, und zwar ohne einen Stichtag einzusetzen. Mein Kollege Bachmann hat in der letzten Plenarsitzung ausdrücklich hierauf verwiesen. Auch für die Kosovo-Roma gilt: Wir wollen die Berücksichtigung humanitärer Gesichtspunkte im Rahmen einer Sozialklausel. Ein langfristiger Aufenthalt der Betroffenen ohne Status, das Erreichen eines hohen Integrationsgrades, die Situation in Deutschland geborener und sozialisierter Kinder müssen berücksichtigt werden. Eine Trennung von Familien lehnen wir ab, ebenso die Sippenhaft in den Entscheidungen der Ausländerbehörde.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Wir wollen auch ergänzende Sozialleistungen akzeptieren, wenn Kinder der Grund dieser Zahlungen sind. Frau Polat hat eben auf den Kinderreichtum vieler Familien hingewiesen, der es schwierig macht, ein auskömmliches Einkommen zu erwirtschaften. Selbstverständlich gehört es auch dazu, traumatisierte, ältere und kranke Menschen vor der Abschiebung zu bewahren. Meine Damen und Herren, der Wunsch, Sozialkosten zu sparen, darf nicht ständig gegen den Schutz der Menschenwürde ausgespielt werden. Wir meinen, die Achtung der Menschenwürde muss an erster Stelle rangieren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Auch heute fordern wir den Innenminister auf, sich für eine kurzfristige Nachbesserung der Bleiberechtsregelung einzusetzen. Insbesondere muss der Zeitraum der Altfallregelung deutlich verlängert werden. Erst bei der Innenministerkonferenz Anfang Juni hat die SPD gegen das Votum der CDU-geführten Länder ein einfacheres Bleiberecht verlangt. Herr Schünemann, Ihr Kollege Bode von der FDP drängt wie wir auf eine Verlängerung des Bleiberechts in Zeiten der Wirtschaftskrise. Das hat er presseöffentlich so geäußert. Das fordern übrigens auch die beiden großen christlichen Kirchen und eine Reihe von Verbänden und Organisationen, auf die Frau Polat bereits verwiesen hat. Bei den Betroffenen sind somit auch Hoffnungen geweckt worden, die Sie nicht enttäuschen dürfen, Herr Bode. Ich hoffe, Ihren Worten folgen auch Taten, damit am Ende nicht der Eindruck bleibt, Bode handelt doppelbödig.

(Beifall bei der SPD)

Die Romaflüchtlinge in Niedersachsen brauchen eine umfassende und konstruktive Lösung für einen sicheren Aufenthalt hier nach langen Jahren der Duldung. Sie brauchen konkrete Maßnahmen zur sozialen und auch zur beruflichen Integration. Herr Minister Schünemann, führen Sie einen Dialog mit den Organisationen der Roma in Niedersachsen, und ergreifen Sie Maßnahmen, damit diese Menschen hier in Sicherheit und Würde leben können! Wir halten es für ein zwingendes Gebot der Humanität, den aus dem Kosovo geflüchteten Angehörigen der Roma einen sicheren Aufenthalt in Niedersachsen zu gewähren.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der LINKEN)