Dr. Silke Lesemann hat während der heutigen Landtagssitzung einen nationalen Bildungspakt gefordert. Dazu müsse das Kooperationsverbot zwischen dem Bund und den Ländern aufgehoben werden: Der Bund solle wieder in die Lage versetzt werden, die Länder im Bereich Bildung finanziell zu unterstützen. Die gesamte Rede der wissenschaftspolitischen Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion im Wortlaut finden Sie hier.

--- Es gilt das gesprochene Wort. ---

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen, meine Herren!
Dieser Antrag kommt zu einem fragwürdigen Jubiläum. Vor zehn Jahren, am 1.9.2006, wurde das unsinnige Kooperationsverbot von der damaligen Großen Koalition im Rahmen der Föderalismusreform II verabschiedet. Sinngemäß verbirgt sich hierunter das Verbot für den Bund, Geld in die Schulen der Länder zu investieren. Zugegebenermaßen eine absolut unsinnige Regelung, die zu vielen Missständen und Fehlentwicklungen im Bildungssystem führt.

Die gesetzliche Regelung findet sich in einem Bermuda-Dreieck von Paragraphen, irgendwo zwischen dem Artikel 30 (Allzuständigkeit der Länder), dem Artikel 91 b (Gemeinschaftsaufgabe Wissenschaft) und dem Artikel 104 b über die Finanzbeziehungen. Dieser Artikel erlaubt es dem Bund, den Ländern Geld zu geben. Aber nur, und das ist der Schlüsselsatz, „soweit dieses Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht“. Im Jahr 2006 galt das Kooperationsverbot als tragende Säule der Föderalismusreform. Bund und Länder hatten ihre komplizierte Zusammenarbeit neu geregelt: Wer ist wofür zuständig, wann kann der Bundesrat nein sagen? Die Bundesregierung hatte danach gejubelt, sie habe die Vetomacht der Länder gebrochen. Seit der Föderalismusreform dürfen die Ministerpräsidenten im Bundesrat nämlich viel weniger Gesetze des Bundes in Frage stellen. Im Gegenzug mussten die Länder dafür etwas bekommen – die alleinige Zuständigkeit für Bildung. Für die Praxis heißt das: Der Bund darf Schulen niemals Geld geben. Und Hochschulen nur ausnahmsweise.

Meine Damen, meine Herren!
Das Kooperationsverbot zählt zu den größten bildungspolitischen Fehlern des vergangenen Jahrzehnts. Die SPD hat diesen Irrtum schon lange erkannt und dies mit diversen Parteitagsbeschlüssen dokumentiert. Das Verbot zementiert regionale Bildungsungerechtigkeiten. Dass in einem Land wie Deutschland die Bildungschancen stark vom Wohnort abhängig sind, passte und passt nicht zu den Herausforderungen, die Bund, Länder und Kommunen im Bildungsbereich zu bewältigen haben. Dieses Verbot passt noch weniger in eine Zeit, in der wir, mindestens auf drei verschiedenen Ebenen gefordert sind:

1) Unsere Schulen sind in die Jahre gekommen. Der Sanierungsstau ist himmelschreiend, dazu gibt es neue Anforderungen durch Ganztagsausbau und Inklusion. Nach einer Schätzung des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIfU) von 2014 fehlen für Sanierung und Ausbau der Schulen bundesweit rund 32 Milliarden Euro. Dabei gilt der Satz: „Der dritte Pädagoge ist der Raum.“ Dieser Satz stammt von dem norditalienischen Erziehungswissenschaftler Loris Malaguzzi (1920-1994) und meint, dass eine wertschätzende, anregende Umgebung Kreativität und Lernen fördert, sich aber auch positiv auf den Bereich Lehrergesundheit (Stichwort Schallschutz) auswirkt.

2) Digitalisierung: Dieses Stichwort beschreibt auch in der Bildungspolitik eine der wichtigsten Herausforderungen der kommenden Jahre. Digitale Kompetenz und digitale Exzellenz sind essentiell für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Digitalisierung als Querschnittsthema erfordert daher eine breit angelegte digitale Grundbildung, um eine digitale Spaltung – im beruflichen wie im privaten Bereich – zu verhindern. Das Thema ist nicht auf die Schule begrenzt, sondern umfasst alle Bildungsprozesse.

Wir werden uns im Ausschuss sicherlich darüber unterrichten lassen, welche Maßnahmen das MK bzw. die Landesregierung hier bereits in die Wege geleitet hat, und was geplant ist.

Aber, meine Damen und Herren, wir können das Thema mit Sicherheit nicht allein auf die Ausstattung mit der erforderlichen Hardware und diesbezügliche Finanzforderungen begrenzen. Es geht auch um Medienbildung und die Vermittlung von Medienkompetenz in der Schule, Medienentwicklungsplanung, um Prüfungsordnungen in der Lehrerausbildung, Qualifizierungsangebote für pädagogisches und nicht-pädagogisches Personal, Aufbereitung von Unterrichtsmaterialien, Etablierung von Standards in der Hardwareausstattung. Mag diese Aufzählung auch unvollständig sein, so zeigt sie doch, wie umfassend das Thema bearbeitet werden muss.

Im Bildungsbereich gibt es noch viel mehr Dinge, die viel mehr Geld kosten und die zeigen, wie unsinnig das Kooperationsverbot ist. Hunderttausende Flüchtlingskinder kommen an deutsche Schulen, es fehlt an Lehrern, und die Gebäude sind marode: Der Bund darf die Länder wegen des Kooperationsverbots aber kaum finanziell unterstützen, selbst wenn die Länder in Geldnöten sind und der Bund zu zahlen bereit wäre.

Meine Damen, meine Herren!
Es wäre an der Zeit, die Bundesregierung grundsätzlich in die Lage zu versetzen, den Ländern bei der Bewältigung ihrer Bildungsaufgaben finanziell zu helfen, ohne sie, wie so oft befürchtet, gleich zu bevormunden. Und an dieser Stelle kann ich nur die Forderung der SPD-Bundestagsfraktion nach einer nationalen Bildungsallianz unterstützen. Die OECD bescheinigt ein weiteres Mal, dass das Ziel, sieben Prozent des BIP für Bildung auszugeben, weiterhin verfehlt ist. Aktuell liegt der Wert bei 4,2 Prozent und damit unter dem Durchschnitt von 4,8 Prozent. Was bei Forschung fast klappt – das Ziel drei Prozent des BIP dafür zu investieren – sollte auch endlich im Bildungsbereich Realität werden.

Wir brauchen einen Nationalen Bildungspakt in Deutschland, durch den deutlich mehr in den Bildungsbereich investiert wird. Mit der Abschaffung des Kooperationsverbots könnten finanzielle Hilfen des Bundes in den Schulbereich fließen. Es ist schön, dass die FDP dieses Ansinnen dem Grunde nach teilt. Im Übrigen: Wir brauchen kein Kooperationsverbot, sondern vielmehr ein Kooperationsgebot!